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Von der Schweiz in die Türkei und umgekehrt

Wenn ein Schweizer und ein Türkischer Chor gemeinsam volkstümliche Melodien aus beiden Ländern interpretieren, tönt das einzigartig. Wir haben Begegnungen mit dem «choR inteR kultuR» gemacht.

Bündner Woche
01.10.23 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Der Dirigent und die Dirigentin: Fortunat Frölich und Fidan Kurt Kasapba̧si dirigieren gemeinsam in Istanbul.
Der Dirigent und die Dirigentin: Fortunat Frölich und Fidan Kurt Kasapba̧si dirigieren gemeinsam in Istanbul.
Pressebilder

von Susanne Turra

Jodeln und Jauchzen orientalisch umrahmt. Wenn ein Schweizer und ein Türkischer Chor gemeinsam volkstümliche Melodien aus beiden Ländern interpretieren, tönt das genau so. Nach internationaler Chorkultur. Und so nennt sich auch der Schweizer Chor mit Sitz in Chur und Zürich «choR inteR kultuR» (RRR). Er ist aufgestellt als Verein und Mitglied des Kantonalgesangsverbandes. Und er steht unter der Chorleitung von Fortunat Frölich und dem Präsidium von Christof Heim. Seit rund zwölf Jahren sucht der überregionale Projektchor die musikalische Begegnung mit anderen Kulturen. Vor Kurzem auch in Istanbul. Doch der Reihe nach.

Ein buntes Chorjahr

«Wir sind ein Amateurchor», betont Christof Heim an jenem Montagabend Mitte September in Chur. Und so sind grundsätzlich auch alle willkommen im RRR. Mit und ohne Gesangsausbildung oder Musikhintergrund. Aber bei den einzelnen Projektausschreibungen setzt man dann doch Chorerfahrung voraus. Wie dem auch sei. 2023 ist ein buntes Chorjahr. Mit drei Projekten: einem Theaterprojekt in Aarau, der Teilnahme auf Einladung am Jubiläumsgottesdienst im Markusdom in Venedig und Auftritten in Istanbul. Von letzterer musikalischer Expedition in die Türkei ist der Schweizer Chor vor kurzem wieder heimgekehrt. Nach einer Woche voller Inspiration. Mit einem Programm, das der musikalische Leiter und Dirigent Fortunat Frölich in Zusammenarbeit mit Fidan Kurt Kasapba̧si und Ula̧s Saka, Dirigentin und Co-Dirigent des Chores des Konservatoriums der Technischen Universität Istanbul, erarbeitet hat. Ein Konservatorium übrigens, an dem auch Instrumentenbau studiert wird. «Es ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, ein solches Projekt mit Reise zu organisieren», so Christof Heim. Die Projektleitung durch Marc Dietrich aus Zürich ist massiv gefordert. Neben den musikalischen stellen sich haufenweise menschliche Fragen. Wie ist die Hotellerie in der Türkei? Wie ist das Essen? Wie kommen wir vom Flughafen in die Stadt? Funktioniert das Internet? Wie sieht es mit der Währung aus? «So sind wir Schweizerinnen und Schweizer eben», sagt der Präsident und lacht. Übrigens: 100 Türkische Lira sind ungefähr drei Schweizer Franken.

Über die Musik eine gemeinsame Sprache finden

Zurück zur Musik. Als der Churer Cellist, Dirigent und Komponist Fortunat Frölich vor rund zwölf Jahren den «choR inteR kultuR» als Verein gründet, steht bei ihm der kulturelle Austausch an vorderster Stelle. Über die Musik soll eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Eine gemeinsame Geschichte geschrieben. Freiheit, Freude, Toleranz, Lebensinhalt, mit dem Schicksal umgehen und nicht verzweifeln. Das sind die Botschaften des Dirigenten. Und sie spiegeln sich auch in seinen Werken wieder. Mit Istanbul ist es mittlerweile das zehnte Projekt, das in einem anderen Land durchgeführt wird. Auch Mexiko, Marokko, Polen, Libanon, Lettland und Bosnien Herzegowina waren schon an der Reihe. Ein weitgereister Chor. Einer, der sich immer wieder aus neuen Sängerinnen und Sängern zusammensetzt. Der Churer Dirigent kennt die Chorszene in Graubünden. Und so besteht der RRR aktuell aus rund einem Drittel Bündner Sängerinnen und Sängern. Die restlichen zwei Drittel kommen von überall aus der Schweiz. Aus Bern, St. Gallen, Luzern, Zürich, dem Aargau. Dennoch. Eines ist klar: Man kann nicht einfach so in ein fremdes Land gehen und singen. Da muss vorgängig schon ein guter persönlicher Kontakt bestehen.

Gut gelaunt in Istanbul: Andrea Jehli (links), Christian Foppa und Christof Heim.
Gut gelaunt in Istanbul: Andrea Jehli (links), Christian Foppa und Christof Heim.
Musik verbindet: erste gemeinsame Proben im Konservatorium.
Musik verbindet: erste gemeinsame Proben im Konservatorium.

So oder so. Die Chormitglieder werden älter. Und mit ihnen die Stimmen. «Der Nachwuchs fehlt», bestätigt Christof Heim. «Das merkt man bei allen Chören. Die Leute zwischen 40 und 60 fehlen.» Zum Vergleich: Im türkischen Chor sind die Sängerinnen und Sänger zwischen 20 und 30 Jahre alt. Und so wäre ein Ziel des RRR auch, sich für gewisse Projekte mit einem Schweizer Jugendchor zusammenzutun. Das ist allerdings ein schwieriges Unterfangen. Und eine gemeinsame Terminfindung fast schon unmöglich. Wer dennoch interessiert ist, geht an die erste Probe. Die Kennenlernprobe. Da gibt es dann schon mal einen ersten kritischen Blick seitens des Chorleiters. Dann wird entschieden. Und ausgewählt. Wer mitmacht, bezahlt einen Teilnahmebeitrag. Dieser setzt sich zusammen aus einem Entgelt für den Dirigenten und die Projektleitung. Und aus Kosten für die Infrastruktur der Proben und Konzerte sowie die Projektwoche im Ausland. Wichtig ist: «Ein Projekt ist nicht fertig, wenn man zum ersten Mal zusammenkommt», so Christof Heim. «Es entsteht nach und nach. Oftmals erst im Rahmen der gemeinsamen Proben.»

Präzis und wild

Und so wird auch in Istanbul fleissig improvisiert. Während drei mehrstündiger Proben. Der Schweizer Dirigent und die Türkische Dirigentin. Teils dirigieren sie gar gleichzeitig und nebeneinander. Eine Herausforderung. Auch hier. Er, Fortunat Frölich. Der Dirigent mit dem ausserordentlichen Musikgehör, der Präzision und genauen Art. Und sie, Fidan Kurt Kasapba̧si. Die Dirigentin mit der unverkennbaren wilden Art des Dirigierens, laut und stimmig. Zwei Kulturen, die fliessend zu einer werden. Und das trotz Sprachbarrieren. Im Gegenteil. «Einige türkische Sängerinnen und Sänger haben die Schweizer Lieder sogar auswendig gesungen», so der Präsident. Und das in fünf Sprachen. Deutsch, Italienisch, Französisch, Romanisch und Prättigauer Deutsch. «Aber auch wir haben uns gut geschlagen», findet er. Nur, das mit der orientalischen Klangfolge und Sprache sei schon schwierig gewesen. Singen und Motorik. «In diesem Bereich sind wir ein bisschen bewegungsarm», so Christof Heim.

Einen guten Ton gefunden

Wie auch immer. Nach dem Trip in die Türkei kommt nun eine türkische Delegation in die Schweiz. Rund 30 Sängerinnen und Sänger. So will es das Projekt. Am letzten Donnerstag im September findet ein Konzert in Zürich statt. Am ersten Sonntag im Oktober folgt ein Konzert in Chur in der Comanderkirche. Und eine musikalische Begleitung des Gottesdienstes durch ein Ensemble des «choR inteR kultuR» mit geistlichen Liedern des Renaissance-Komponisten Andrea Gabrieli in der Kathedrale. Musik verbindet. Es entstehen Freundschaften. Es wird gegenseitige Toleranz gelebt. «Immerhin haben wir ein sehr bekanntes türkisches Lied teils völlig entfremdet. Mit Gejodel. Und Gejauchze», gibt Christof Heim zu bedenken. «Das ist ja eigentlich eine Aneignung von türkischem Kulturgut.» Und umgekehrt.

«Ich muss mich immer in ein Lied, eine Atmosphäre hineingeben können», betont auch Christian Foppa. Gemeinsam mit Christof Heim singt er im RRR und im Churer Domchor. Und gemeinsam haben sie in Istanbul gesungen. «Es hat funktioniert», sind sich die beiden Sänger einig. Der Bass und der Tenor. «Wir haben einen guten Ton gefunden.»

Auftritte in Chur: Sonntag, 1. Oktober, 10 Uhr: Kathedrale; 17 Uhr: Comanderkirche. Informationen unter www.chorinterkultur.com.

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