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Eine Balance finden

«Natura pura» – eine Kampagne von Darksky Switzerland, Mountain Wilderness, Naturfreunde, Pro Natura und der Stiftung Landschaftsschutz setzt auf einen nachhaltigen Tourismus.

Bündner Woche
17.04.24 - 04:30 Uhr
Klima & Natur
Wolken am Himmel: Verschiedene Naturschutzorganisationen machen sich Sorgen um die Intaktheit der Bergwelt.
Wolken am Himmel: Verschiedene Naturschutzorganisationen machen sich Sorgen um die Intaktheit der Bergwelt.
Cindy Ziegler

von Cindy Ziegler

Im Fürstenwald ist an jenem Dienstagmorgen viel los. Und das trotz Kältesturz und drohendem Starkregen. Hunde und ihre Menschen, Joggerinnen, Biker und Kinder, die den Wald entdecken. Thomas Hensel geht in Richtung des Gleichgewichtswegs. Eines Projekts, das er für ein gutes Beispiel hält für die Möblierung der Natur. Dann bleibt er an einer Weggabelung stehen. «Hier stehen wir auch in einem Schilderwald», meint er kritisch. Schon beim Waldeingang fielen die Schilder auf. Hier an der Kreuzung sind sie gar nicht mehr zu übersehen. «Ich frage mich, ob es all diese Schilder braucht. Und ob wir tatsächlich Werbung im Wald wollen», erklärt Thomas Hensel, Präsident der Churer Naturfreunde. Zwei Tafeln machen Werbung für zwei verschiedene Versicherungen. 

Eine nationale Kampagne

Die Werbung in der Natur. Die Möblierung der Natur. Ein Thema von dreien, die sich die Kampagne «Natura pura» vornimmt. Es ist eine nationale Aktion, die von den Organisationen Darksky Switzerland, Mountain Wilderness, den Naturfreunden, Pro Natura und der Stiftung Landschaftschutz getragen wird.

Eigentlich geht es in der Kampagne um die Natur, die sich hinter dem Fürstenwald erhebt. Die Bergwelt. Trotzdem. Auch ein Treffen im Churer Naherholungsgebiet erfüllt seinen Zweck. Man wolle nicht mit Verboten arbeiten, sondern in einen Dialog treten, meint Thomas Hensel. Und so stellt er an jenem Morgen im Wald vor allem Fragen, auf die er teilweise selbst noch keine Antwort hat. Wie viel Möblierung braucht es und wie viel davon erträgt die Natur? Was davon ist beispielsweise sicherheitsrelevant? «Es ging Jahrzehnte lang ja mit den rot-weissen Markierungen. Ich verstehe nicht, warum es für alles andere nun so viel Erklärung braucht. Die Natur erklärt sich doch von selbst», meint Thomas Hensel. 


Abstand vom Alltag

Losgetreten hat das Thema eine Diskussion um eine Aktion der GKB. Die Bank installierte im Rahmen ihres 150-Jahr-Jubiläums vor vier Jahren 150 digitale Gipfelbücher auf Berggipfeln mit einer Höhe von mindestens 2020 ​Metern über Meer. Mountain Wilderness lancierte eine Petition, die mit rund 7000  ​Unterschriften erreichte, dass die GKB die Stelen bis zum Ende des letzten Jahres alle wieder abbaute. Auf der Webseite von «Natura pura» heisst es zur Möblierung der Natur: «Die Natur wird zunehmend als Werbefläche für Marken, Produkte und Dienstleistungen entdeckt. Werbung ist aufdringlich, denn ihr Ziel ist unsere Aufmerksamkeit. Dementsprechend ist sie meist auffällig gestaltet oder verursacht oft Lärm- und Lichtemissionen, die von Mensch und Tier als Störungen wahrgenommen werden können.» 

Auch Thomas Hensel stört sich an Werbung in der Natur. «Wenn ich in der Natur bin, dann möchte ich Abstand vom Alltag gewinnen. Für mich ist sie eine Tankstelle. Ein Zufluchtsort, der es mir ermöglicht, wieder frei durchzuatmen. Vor ein paar Jahren erlitt ich ein Burn-out. Die Natur war und ist die beste und günstigste Therapie.»


Eine intakte Natur hat ihren Preis

Und doch. Eine intakte Natur hat ihren Preis. Und verliert immer mehr an Wert. Ein Umstand, der den Naturschutzorganisationen Sorgen macht. «Die Berge sind die DNA der Schweiz. Sie sind Teil unserer Identität und müssen unbedingt geschützt werden», sagt Thomas Hensel und schaut durch die Baumwipfel zum kahlen Fels. «Gerade im Kanton Graubünden ist der Bergtourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig. Ich erinnere mich an eine Zugfahrt als kleiner Junge. Wir lebten am Vierwaldstättersee und mein Vater war Bähnler. Und so fuhren wir oft in der ganzen Schweiz herum. Einmal auch auf der Berninalinie. Der Morteratschgletscher war damals noch so mächtig, dass er mich schon aus dem Zugfenster blickend fesselte. Heute macht mich sein Anblick traurig. Und ich frage mich, ob die Touristinnen und Touristen noch nach Graubünden kommen, wenn die Gletscher schwinden, schneebedeckte Berge seltener werden und die Natur kaputtgeht.» Die Frage, die der Naturfreund hier stellt: «Was braucht es, dass wir uns in der Natur erholen können, und was braucht es, dass die Natur sich auch von uns erholen kann?» 

Naturfreund: Thomas Hensel freut sich an dem Wald,…
Naturfreund: Thomas Hensel freut sich an dem Wald,…
Cindy Ziegler
…stört sich aber an der vielen Werbung, die in ihm platziert sind.
…stört sich aber an der vielen Werbung, die in ihm platziert sind.
Cindy Ziegler
Schilderwald: Werbung hat in der Natur nichts verloren. Das finden zumindest die Initiantinnen und Initianten der Kampagne «Natura pura».
Schilderwald: Werbung hat in der Natur nichts verloren. Das finden zumindest die Initiantinnen und Initianten der Kampagne «Natura pura».
Cindy Ziegler

Neben der Möblierung der Natur und dem Phänomen des Übertourismus sind auch die Lichtemissionen Thema der Kampagne. Lichtverschmutzung in Graubünden? Thomas Hensel nickt. Zwar relativiert er, dass man die Lichtemissionen im Kanton natürlich nicht mit jener in Ballungszentren vergleichen könne. Aber dennoch. Er erzählt von einer Modeschau im Wald bei St. ​Moritz. Und langt sich an den Kopf. «Das ist ein massiver Eingriff in die Natur, der die Lebewesen empfindlich stört. Schon wir Menschen reagieren auf künstliches Licht. Aber wir können es einfach ausschalten.» Er erinnert etwa an die grosse Fledermauskolonie im Fläscher Kirchturm und an die Insektenwelt, die derzeit massiv unter Druck steht. «Wenn die Insekten verschwinden, dann tun sie das leise. Wir merken es erst, wenn es zu spät ist.»


Es erst merken, wenn es zu spät ist. Auch das will die Kampagne «Natura pura» verhindern. Sie will aufmerksam machen. Und in Kontakt kommen. «Mit Verboten allein lässt sich die Identität der Schweiz nicht schützen», sagt denn auch Thomas Hensel. Er grüsst eine Spaziergängerin und macht Spässe mit zwei kleinen Kindern, die an ihm vorbeispringen. Wir spazieren zum Gleichgewichtsweg. Passend dazu unterhalten wir uns darüber, wie man eine Balance finden könnte. 

Ins Gleichgewicht kommen

«Die Natur ist ein Kreislauf. Und so sollten wir auch mit ihr umgehen. Wenn es Möblierung braucht, dann doch solche, die zur Umgebung passt.» Er erklärt das am Beispiel von Hängebrücken und Aussichtsplattformen. Werberisch werden diese clever inszeniert und als Brücken in den Himmel bezeichnet. Sie sind zudem Publikumsmagnete und ziehen Touristinnen und Touristen an, denn dank ihnen kommt man dem Himmel nah. «Glasplatten sind jedoch für die Vogelwelt problematisch. Und auch die Hängebrücken greifen in den Luftraum ein. Muss also wirklich jeder Berg mit einer Plattform versehen werden und muss jedes Tal mit einer Hängebrücke überquert werden?», fragt Thomas Hensel. Er glaubt, dass man die Natur nur spüre, wenn man sie tatsächlich erlebe. Mit ihr lebt. Auch hier wieder: der Kreislauf. 

Beim Gleichgewichtsweg schaut Thomas Hensel den Kindern zu. Sie balancieren auf den Holzbalken, mit Tannenzapfen und Zweigen in den Händen. Der Naturfreund freut sich darüber. «Eigentlich ist doch der ganze Wald ein Gleichgewichtsparcours», meint er. Dennoch findet er den künstlich angelegten Weg gelungen. Denn er ist aus Naturmaterialien, kommt ohne viel Erklärungen aus und animiert zu einem sanften Zugang zur Natur. Er schafft das, was sich auch die Kampagne «Natura pura» wünscht: einen nachhaltigen Tourismus – dank einer unverstellten Natur.

www.natura-pura.org

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