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Demokratien unter Druck

Im neusten Blog «Aktuelle Volkswirtschaftslehre» schreibt Peter Eisenhut über Vor- und Nachteile von Demokratieren - und warum Krisen schlechte Zeiten für freiheitliche Ideen sind.

Peter
Eisenhut
22.07.23 - 12:50 Uhr

Im Blog «Aktuelle Volkswirtschaftslehre» schreiben Jan-Ebert Sturm, Hans Jörg Moser und Peter Eisenhut über aktuelle Themen, die die Volkswirtschaft bewegen.

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Global und längerfristig betrachtet geht es den liberalen Demokratien so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dies belegen Daten aus dem «Varieties of Democracy»-Projekt der Universität Göteborg. Laut dem Bericht wurden die demokratischen Fortschritte der letzten 35 Jahre innerhalb kurzer Zeit zunichte gemacht. Seit einigen Jahren verschiebt sich das Verhältnis von demokratischen zu autokratischen Regierungsformen. Während vor zehn Jahren noch über die Hälfte der Weltbevölkerung in Demokratien lebte, beträgt dieser Anteil heute nur etwas mehr als ein Viertel.

Eine aktuelle Umfrage der Universität Leipzig zur Demokratie in den ostdeutschen Bundesländern hat ergeben, dass zwei Drittel der Ostdeutschen eine Sehnsucht nach der DDR haben, was stark mit dem Wunsch nach einer einzigen starken Partei zusammenhängt. Ebenfalls zwei Drittel halten politisches Engagement für sinnlos, und kaum jemand glaubt, einen Einfluss auf die Regierung zu haben.

Woher kommt dieser Zweifel an der demokratischen Gesellschaftsordnung? Warum befinden sich Demokratien scheinbar im Abwärtstrend? Generell lässt sich festhalten, dass Krisen schlechte Zeiten für freiheitliche Ideen sind. Und wir leben in einer Zeit, in der eine Krise auf die nächste folgt. Das globale «Krisenmenü» seit 2008 liest sich wie folgt: Finanzkrise, Schuldenkrise, Handelskrieg, Coronakrise, Ukrainekrieg und über allem schwebt der Klimawandel.

In den letzten Jahren sind einige uns lieb gewordene Narrative zu Ende gegangen. Francis Fukuyama lag falsch, als er nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Ende der Geschichte proklamierte. Denn die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft haben sich weder endgültig noch überall durchgesetzt. Mit dem Aufstieg Chinas zur Grossmacht sind auch die Narrative des Wandels durch Handel und der Entwicklung der Welt nach westlichem Muster geplatzt. Der Ukraine-Konflikt zeigt, dass wirtschaftliche Verflechtung nicht automatisch den Frieden sichert. Der Systemwettbewerb, insbesondere zwischen China und der USA, ist zurückgekehrt. Beide Supermächte wollen die Weltordnung bestimmen, bauen ihre Machtblöcke aus und stellen sich gegenseitig als Feindbild dar.

Die multiplen Krisen und die geopolitischen Spannungen verbreiten Unsicherheiten und Ängste. Die Zahl der Enttäuschten wächst, sei es aufgrund unerfüllter Wahlversprechen, zunehmender Polarisierung, wachsendem Populismus, politischem Stillstand oder fehlendem Fortschritt. Der Wunsch nach einer starken Hand, die einfache Antworten auf komplexe Fragen anbietet, nimmt zu.

Wir befinden uns in einer Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie und zwischen Freiheit und Macht. Selbstverständlich ist die Demokratie nicht fehlerlos. Aber sie erlaubt dem Individuum freie Selbstbestimmung, ermöglicht die Mitgestaltung am eigenen Schicksal und schafft Raum für Möglichkeiten, die kein anderes System bieten kann.

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